Jubiläen
75 Jahre Neoplan *
16.04.2010 - 22:00

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75 Jahre Neoplan
  • Vom Karosseriebauer zum Omnibushersteller
  • Mit dem Typ „Hamburg“ revolutioniert Neoplan 1961 die Reisebus-Branche
  • Neoplan Skyliner – luxuriös Reisen auf zwei Ebenen
  • Neoplan Cityliner – der Klassiker

Die Gründerjahre

Firmengründer Gottlob Auwärter jr. (*1903, † 1993) entstammt einer alteingesessenen Wagnerfamilie. Mit 14 Jahren lernt er das Wagnerhandwerk im elterlichen Betrieb in Stuttgart-Möhringen, 1920 legt er die Gesellenprüfung ab. Angesichts der aufkommenden Automobilisierung bemüht sich Gottlob Auwärter jr. um eine Anstellung beim renommierten Stuttgarter Karosseriewerk Reutter, wo er ab dem Jahr 1922 als Geselle die Fertigkeiten eines Karosseriebauers erlernen kann. Drei Jahre später – Reutter hat wie viele andere Unternehmen mit der Rezession zu kämpfen – ist er gezwungen, in die kleine Werkstatt seines Vaters zurückzukehren. Hier muss sich er sich mit seinem Vater und mehreren Geschwistern – vier von sechs Auwärter-Brüdern arbeiten in dem elterlichen Betrieb – arrangieren, der Streit um begrenzte Ressourcen bleibt nicht aus. Nachdem Gottlob Auwärter jr. im Jahr 1927 seine Meisterprüfung im Karosseriebau ablegt, entflieht er Mitte der Dreißiger Jahre der Enge des elterlichen Betriebes und wagt den Schritt in die Selbstständigkeit. Dazu gehört Mut in einer Zeit, in der eine schwere Weltwirtschaftskrise erst wenige Jahre zurückliegt und staatliche Förderprogramme noch nicht erfunden sind. Es steht für Vertrauen in das eigene Können, sich in diesem Umfeld selbstständig zu machen.
Gottlob Auwärter

Mit Hilfe von sechs Gesellen und einem Lehrling – allesamt Leihkräfte, die ihm sein Vater als „Starthilfe“ zur Verfügung stellt – nimmt die Firma Karosseriebau Gottlob Auwärter jr. auf dem Gelände einer alten Ziegelei an der Vaihinger Straße in Stuttgart-Möhringen am 1. Juli 1935 offiziell ihre Arbeit auf. Das Unternehmen fertigt neben Kastenaufbauten, Fahrerhäuser und –Pritschen für Lastwagen hauptsächlich Omnibuskarosserien aus Holz, die auf Fahrgestellen verschiedener Hersteller wie Mercedes, Büssing, Henschel oder Krupp aufbauen. Zwar stellt Gottlob Auwärter jr. Aufbauten für Nutzfahrzeuge aller Art her, doch seine besondere Vorliebe gilt von Anfang an dem Omnibus.

Zu jener Zeit ist die Konstruktion von Lastwagen und Bussen eng verwandt. Letztere bestehen aus einem Lastwagenfahrgestell mit stabilem Rahmen, der mit einem Aufbau versehen wird. Dieser kommt häufig von kleinen Karossiers, die ihn individuell nach den Wünschen des jeweiligen Kunden anfertigen. Schon allein aus praktischen Gründen geben die meisten Käufer daher ihre Aufträge an Firmen aus der Region. In der näheren Umgebung findet auch Gottlob Auwärter jr. seinen ersten Kunden.


Opel Blitz mit Auwärter-Aufbau von 1936

Die Kriegs- und Wiederaufbaujahre

Bei Kriegsausbruch 1939 beschäftigt Gottlob Auwärter jr. 45 Mitarbeiter. Sie fertigen Omnibusse mit Holzkarosserie und Blechverkleidung. Doch die deutsche Wehrmacht zieht die Hälfte der Belegschaft zum Kriegsdienst ein. Mit den verbliebenen Arbeitskräften fertigt Gottlob Auwärter jr. so genannte Panjewagen (Pferdekarren) für das Militär. 1942 wird sein Betrieb geschlossen, Gottlob Auwärter jr. und die Gesellen kommen bei der Reparatur von Flugzeugen auf dem nahe gelegenen Flughafen Echterdingen zum Einsatz. 1944 kehrt er in seine Werkstatt zurück, um mit seinem Bruder Otto und drei verbliebenen Gesellen Fahrzeuge auf Holzgasbetrieb umzurüsten; trotz zahlreicher Luftangriffe bleibt die Werkstatt von Zerstörungen weitgehend verschont, so dass Gottlob Auwärter jr. nach der Kapitulation Deutschlands zügig mit der Wiederaufnahme seines Betriebes beginnen kann.


So hat Gottlob Auwaerter angefangen, Busse zu karossieren. Komplett aus Holz wurde das Gerippe gefertigt. Das Chassis des Opel Blitz ist mit einem Sechszylinder-Ottomotor mit 75 PS ausgestattet.

Dennoch ist der Neustart des Unternehmens mühevoll, Geld und Material sind knapp. Die offenen Rechnungen für die letzte Lieferung von Panjewagen an die deutsche Wehrmacht bleiben unbezahlt. Und die Besatzungstruppen beschlagnahmen fast alle noch verfügbaren Fahrzeuge – entschädigungslos. Lediglich sechs Omnibusse kann Gottlob Auwärter jr. der Requirierung durch die französischen Truppen entziehen. So rettet er einen kleinen Grundstock für den Wiederaufbau seines Unternehmens. Zunächst beschäftigt sich Gottlob Auwärter jr. mit Reparaturen gebrauchter Fahrzeuge, doch schon bald fokussiert er sich weitgehend auf die Produktion von Omnibussen, die sich ab Anfang der 50er Jahre – die Deutschen reisen wieder – einer deutlich wachsenden Nachfrage erfreuen. Im Wettbewerb mit rund 80 weiteren Busherstellern in Deutschland, die zu dieser Zeit um die Gunst der Kunden buhlen, kann sich Gottlob Auwärter jr. vor allem dank eigenständiger, technisch anspruchsvoller Fahrzeugkonstruktionen behaupten.

So löst er die bisher übliche Holz-Stahl-Konstruktion für die Omnibusaufbauten durch eine robuste Ganzstahlbauweise ab – zu damaliger Zeit ein Novum im Busbau. Aus Gewichtsgründen beplankt Gottlob Auwärter jr. das neu entwickelte Stahlgerippe mit Leichtmetall. Die Aufbauten seiner Omnibusse zeichnen sich durch eine großzügige Dachrandverglasung aus, die auch den Front- und Heckbereich umgreifen. Um den Komfort für die Fahrgäste zu erhöhen, kommen Gummipuffer zwischen Fahrgestell und Aufbau. Diese halten sowohl die Verwindungen des Fahrwerks als auch Schwingungen des Motors vom Fahrgastraum fern.


Krupp-Südwerke L 50 von 1949 mit Aufbau von Auwärter

Der erste Neoplan entsteht

Anfang der 50er Jahre fertigt Gottlob Auwärter jr. Omnibusse in Serie. Als Basis für seine Aufbauten verwendet er Fahrgestelle fast aller heimischen Chassis- und Motorenhersteller – die Liste reicht von Borgward und Hanomag über Henschel, Magirus-Deutz und Mercedes-Benz bis hin zu Krupp und MAN für große, schwere Omnibusse. Die große Vielfalt erfordert von dem Karosseriebauer einerseits großes handwerkliches Geschick und hohe Flexibilität, erlaubt aber andererseits eine akkurate Anpassung des Fahrzeugs an die jeweilige Kundenanforderung.

Die Busproduktion steigt stetig, das Werk wird bald zu klein und muss erweitert werden. 1953 entsteht eine 1000 qm große Betriebshalle, in der die Belegschaft pro Woche einen Bus fertigen kann. Gottlob Auwärter jr. erkennt die Notwendigkeit einer Abkopplung der Entwicklung des Omnibusses vom Lastwagen und wagt mit der Entwicklung eines ersten selbst tragenden Busses den Schritt vom Karossier zum Bushersteller. Bei dieser Konstruktion gibt es kein separates Chassis mehr, Fahrwerk und Aufbau bilden vielmehr eine Einheit, die sich selbst trägt. Für zusätzliche Stabilität sorgt die auf das Gerippe – bestehend aus Vierkant-Stahlprofilen – aufgeschweißte Seitenbeplankung. Mit der Einführung der selbst tragenden Bauweise, die eine deutliche Reduzierung des Leergewichts mit sich bringt, geht auch die Verlagerung des Motors ins Heck des Fahrzeugs einher – wo dieser bis heute bei den allermeisten Omnibussen seinen Dienst verrichtet.


Mercedes-Benz L 3500 von 1953 mit Aufbau von Auwärter

Für den ersten eigenständigen Komplettbus aus dem Hause Auwärter jr. wird wenig später der Markenname Neoplan geboren. „Unverständlich“ kommentiert die Zeitschrift Die Wagen- und Karosseriebau-Technik 1954 diese Namensgebung, die auf einer Idee des griechischen Importeurs von Auwärter-Bussen beruht. Dennoch setzt sich der Name Neoplan durch. Im Sommer 1954 beginnt die Serienfertigung des ersten Neoplan mit weiteren Versionen in verschiedenen Längen.

Durch die steigende Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Neoplan-Bussen aus dem In- und Ausland, können Gottlob Auwärter jr. und seine Mannschaft Anfang 1957 bereits den 100. Neoplan ausliefern. Auf der im selben Jahr stattfindenden Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt am Main präsentiert Neoplan den weltweit ersten Bus mit serienmäßiger Luftfederung. Zu einer Zeit, als zahlreiche Wettbewerber ihre Busse noch auf nur leicht modifizierten Lastwagen-Fahrgestellen aufbauen, gelingt Gottlob Auwärter jr. mit dieser Konstruktion ein Meilenstein in der allgemeinen Reisebusentwicklung – sie wird 1958 patentiert. Zusammen mit der Einzelradaufhängung vorn und dem von Neoplan entwickelten so genannten Dreieckfahrschemel hinten erreicht der Omnibus einen bis dato ungeahnten Fahrkomfort.


Neoplan SK 9 von 1954

Im Zeichen der Revolution

Der wachsende Luftverkehr erfordert neue Lösungen für den Transport der Fluggäste zwischen Terminal und Flugzeug. Konventionelle Busse sind für diesen spezifischen Einsatz ungeeignet. Dieser Herausforderung begegnet Neoplan 1960 mit einem von Grund auf neu konzipierten Flughafen-Vorfeldbus: Dessen Fahrgastraum ist durchgehend eben, die Einstiege stufenlos. Und durch die Verwendung einer gekröpften Hinterachse mit relativ kleinen Rädern, beträgt die Fußbodenhöhe gerade einmal 350 mm. Damit ist der schnelle und bequeme Ein- und Ausstieg der Passagiere gewährleistet, der für den Einsatz auf dem Flughafen-Vorfeld entscheidend ist. Außerdem ist damit bereits die „Niederflur-Idee“ geboren, die erst viele Jahre später den Bau von Stadt- und Linienbussen revolutionieren sollte.


Ein früher Flughafenbus des Typs NH11 TR von 1964 mit Tiefrahmen-Achse für den Flughafen Düsseldorf. Diese Fahrzeuge waren im engen Sinne direkte Vorläufer der heutigen Niederflurbusse.

Im Reisebusbereich tritt 1961 Albrecht Auwärter – Gottlobs ältester Sohn – ins Rampenlicht. Bis dato dominieren runde Formen im Reisebusbau. Die Seitenscheiben sind klein, zusätzliche Oberlichter sollen den Fahrgästen einen besseren Ausblick ermöglichen. Auf dem 31. Internationalen Automobilsalon in Genf überrascht Albrecht Auwärter mit einer Neuentwicklung, die Maßstäbe im Omnibusbereich setzt – dem Typ „Hamburg“. Während seines Studiums an der Hamburger Fachhochschule für Karosserie- und Fahrzeugbau – daher auch die Typenbezeichnung „Hamburg“ – entwickelt Albrecht Auwärter zusammen mit seinem Kommilitonen und späteren Wegbegleiter Bob Lee das völlig neuartige Busmodell.


Neoplan NH 6/7 L - Typ Hamburg. Zusammen mit Studienkollege Bob Lee entwickelte Albrecht Auwärter 1961 als Abschluss seines Studiums an der Hamburger Wagenbauschule den neuen Typ Hamburg. Er gilt aus der erste moderne Reisebus, der die Marke Neoplan über Jahrzehnte entscheidend prägte.

Gelingt Albrecht Auwärter mit dem Typ „Hamburg“ eine Revolution im Reisebusbau, zeigt 1964 dessen Bruder Konrad, dass auch dem jüngsten Spross der Familie die Entwicklung fortschrittlicher Bustechnik im Blut liegt. Als Diplomarbeit konstruiert Konrad Auwärter den so genannten Do-Bus, einen extrem leichten, zweistöckigen Omnibus für den Linienverkehr. Da Neoplan jedoch in erster Linie Reisebushersteller ist, wird das Konstruktionsprinzip 1965 mit der Entstehung des Sightseeing-Doppeldeckers Do-Lux auf den Touristikbereich übertragen. Eigentlich als Stadtrundfahrtsbus für Berlin konzipiert, wird der Do-Lux von den Abnehmern zunehmend im Reiseverkehr eingesetzt.


Erster Neoplan Liniendoppeldecker. Gebaut im Herbst 1965 als Ingenieurarbeit von Konrad Auwärter. Neuheiten: 1. Doppeldecker mit 100 Sitzplätzen, Gesamthöhe 3,99 m. Besonders charakteristisch die Fußbodenhöhe von nur 350 mm über der Fahrbahn. Im Fahrzeug selbst gab es keinerlei Stufen oder Absätze.



Neoplan Do-Lux NB 20 L – Erster Neoplan Doppeldecker für Stadtrundfahrten 1965 für Magasch-Berolina, Berlin. Gesamthöhe 4 m, 74 + 1 Sitzplätze. Plexiglaskuppeln vorne und hinten sorgten für die gute Aussicht. Im Heck war ein MAN-Unterflur-Flüstermotor untergebracht.

Um diesen Kunden entgegen zu kommen, entschließt man sich bei Neoplan, einen eigenständigen Doppeldeckerbus für die Fernreise zu entwickeln – den Skyliner. Bei seiner Vorstellung 1967 auf der Omnibuswoche in Nizza stiehlt Neoplan den Wettbewerbern die Schau. Dem Zweiachser folgt noch im selben Jahr eine dreiachsige Variante mit selbst spurender Schleppachse. Die moderne englischsprachige Bezeichnung Liner aus dem Bereich der komfortablen Personenschifffahrt, bildet fortan die Grundlage für die meisten Namen von neuen Neoplan-Baureihen.


Neoplan Skyliner NH 22 – Schnell wuchs die Nachfrage nach einem Reise-Doppeldecker, der 1967 bereits als Skyliner NH 22 zuerst als Zweiachser vorgestellt wurde.

Neoplan als Wegbereiter der modernen Bustouristik

Zehn Jahre sind seit der Vorstellung des Typs „Hamburg“ vergangen – es ist an der Zeit, das Richtung weisende Konzept weiterzuentwickeln. So geht Neoplan im Jahr 1971 den eingeschlagenen Weg vom einfachen Eindecker zum Hochdecker zu Ende und präsentiert im Frühjahr auf der 20. Omnibuswoche in Monaco Europas ersten Reisebus-Hochdecker der Öffentlichkeit – den Neoplan Cityliner. Die Fahrgastebene ist nun zwei Stufen höher angeordnet als der Fahrerplatz, die Sitze befinden sich weiterhin auf Podesten. Die ins Dach gewölbten Seitenscheiben, die komfortable Luftfederung mit Hinterachs-Fahrschemel und Einzelradaufhängung vorne gehören ebenso wie die Düsenbelüftung zum selbstverständlichen Neoplan-Inventar. Der Cityliner setzt neue Maßstäbe für komfortable Fernreise-Busse. 1973 wird das Programm um eine dreiachsige Variante erweitert, die dem Cityliner ebenso wie seinerzeit dem Typ „Hamburg“ den Grand Prix d´Excellence einbringt, die höchste Auszeichnung im Wettbewerb des europäischen Omnibusbaus.


Der erste Neoplan Cityliner im Jahr 1971, der speziell als Stadtaussichtswagen konzipiert wurde, vor dem Versuchsgebäude in Stuttgart-Möhrigen

Mit wachsendem Erfolg der Marke Neoplan und steigender Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Premiumbussen, stößt das Werk Stuttgart an seine Kapazitätsgrenzen. Im niederbayerischen Pilsting steht die Traktorenfabrik Eicher zum Verkauf. Hier stehen anders als im Stuttgarter Raum auch gut ausgebildete Facharbeiter zur Verfügung. Die Familie Auwärter kauft die Fabrik, um dort ein zweites Werk zu eröffnen. Am 1. Dezember 1973 können die neuen Fertigungshallen eingeweiht werden, die Produktion kann beginnen. Das Werk leitet Konrad Auwärter, der mit seiner Familie nach Pilsting zieht.

Auch im Ausland finden Neoplan-Busse mehr und mehr Beachtung. Mit der wachsenden Verbreitung wird im Laufe der Jahre nicht nur der europäische Markt erschlossen, bald lassen sich auch auf den Straßen anderer Kontinente Neoplan-Busse finden. Durch diverse Großaufträge der Republik Ghana fasst man den Entschluss, seine Präsenz auf dem afrikanischen Kontinent zu verstärken. So entsteht 1974 in Kumasi, der zweitgrößten Stadt Ghanas, NeoplanS dritte Produktionsstätte. Hier werden bis heute die robusten Busse des Typs Tropicliner gefertigt.


Neoplan Tropicliner von 2005

Macht Neoplan bis dahin überwiegend im Reisebussektor von sich reden, schickt man sich nun an, auch den öffentlichen Personennahverkehr zu revolutionieren. Mit der Entwicklung des N 814 wird 1976 der erste Niederflur-Stadtbus mit zwei stufenlosen, breiten Einstiegen angeboten. Die Technologie hierfür kommt aus dem eigenen Hause, denn schon beim ersten niederflurigen Flughafenbus und Konrad Auwärters Do-Bus wird diese Technik verwendet. Der N 814 erregt zwar viel Aufsehen, doch erst zehn Jahre später gelingt endgültig der Durchbruch der Niederflur-Idee, die bis heute das Erscheinungsbild von Stadt- und Linienbussen prägt.


Neoplan N 814

Dem Fortschritt einen Schritt voraus

Anfang der achtziger Jahre erlangt das Internationale Jahr der Behinderten große Aufmerksamkeit in den Medien. Auch in Deutschland finden die Anliegen behinderter Menschen Gehör. So schreibt der Berliner Senat 1980 ein Forschungsvorhaben zur Entwicklung eines behindertengerechten Bedarfsbusses für Berlin-West aus. Das von Neoplan für diesen Einsatzzweck entwickelte Telebus-Konzept setzt sich gegen die Konkurrenz durch und so entsteht ein Jahr darauf der niederflurige, voll luftgefederte Telebus N 906. Der Fahrgastraum ist variabel einteilbar und verfügt über feste Arretierungen und Sitzplätze für Begleitpersonen. Der durchgehend ebene Wagenboden, der absenkbare Wagenkörper rechts auf Bordsteinniveau oder hinten mittels Rampe auf Fahrbahnniveau ermöglicht das mühelose Ein- und Ausfahren mit dem Rollstuhl. Der Telebus ist konzeptionell gelungen, der wirtschaftliche Erfolg allerdings bleibt aus. Die öffentliche Hand legt ihre engagierten Investitionspläne nach Ablauf des Jahres der Behinderten wieder auf Eis, und auch die anvisierte Zielgruppe findet wenig Gefallen an den Telebussen: Die Behinderten wollen nicht separat, sondern mit Nicht-Behinderten in einem Fahrzeug befördert werden.

Das Telebus-Projekt veranlasst Neoplan, 1980 ein viertes Werk in Berlin-Spandau zu eröffnen. Dort wird zunächst der Telebus in geringen Stückzahlen hergestellt, dann sorgt die Produktion des Typs Jetliner für eine bessere Auslastung. Der Standort dient außerdem als Servicezentrum und – nach dem Fall der Mauer - zur Erschließung der Märkte Ostdeutschland und Osteuropa.


Neoplan Telebus N 906

Ähnlich wie in Ghana verläuft die Etablierung von Neoplan in den USA. Diversen Großaufträgen für Reise- und Linienbusse folgt schließlich 1981 die Eröffnung einer Produktionsstätte in Lamar, Colorado. Dank ihres Vorsprungs in der Niederflur- und CNG-Technik werden Neoplan Linienbusse schnell zu einer festen Größe auf dem nordamerikanischen Markt. Die große Nachfrage und der wachsende Erfolg in Übersee führen 1985 zur Eröffnung eines weiteren Werks in Honey Brook, Pennsylvania. Weil jedoch der avisierte Startauftrag über 900 Busse ausbleibt, kann sich dieses Werk nicht etablieren. Das US-Geschäft, das sich zunächst sehr positiv entwickelt – insgesamt werden mehr als 5.500 Neoplan-Busse in den USA produziert, ist ab Mitte der 90er Jahre rückläufig. Grund: Die staatlichen Investitionen in den öffentlichen Personennahverkehr werden deutlich heruntergefahren. Im Jahr 2006 stellt Neoplan USA den Betrieb schließlich ein.


Neoplan Articulated AN460

Gut zehn Jahre nach Vorstellung des ersten Neoplan Niederflur-Stadtbusses ist der Siegeszug dieser fortschrittlichen Technik nicht mehr aufzuhalten. Auf dem UITP-Kongress in Lausanne 1987 wird ein nochmals weiterentwickelter Niederflur-Gelenkbus der staunenden Fachwelt präsentiert, nicht jedoch ohne für heftige Diskussionen zu sorgen. Eben erst sind die neuen Standards SL II für Stadtbusse festgelegt worden und der Niederflur-Gedanke sorgt bei den etablierten Busherstellern, die auf eine andere Bauweise setzen, für viel Unruhe. Namhafte Verkehrsbetriebe schreiben dennoch Bestellungen für Niederflurbusse aus, wodurch sich der Wettbewerb schließlich gezwungen sieht, das Neoplan Konzept unter dem Druck des Marktes zu übernehmen.


Durchbruch Niederflur 1987. Auf Initiative von Kunden und Stadtwerken, einen Bushersteller zu finden, der einen Bus mit stufenlosem Einstieg realisieren konnte, entwickelte man den weltweit ersten NF-Gelenkbus. Der Weg für den Erfolg war nun offen!

Am 25. Mai 1988 präsentiert Neoplan in Stuttgart die weltweit erste frei tragende Omnibuszelle aus Faserverbundstoffen. Der so genannte Metroliner in Carbon-Design (kurz: MIC) kommt ganz ohne stützendes Stahlgerippe oder Chassis aus und ist deshalb beinahe um 50 Prozent leichter als ein herkömmlicher Bus: Nur 6,25 Tonnen wiegt der 10,6 Meter lange und 2,50 Meter breite Niederflurbus, der 80 Fahrgästen Platz bietet. Auf der IAA 1989 präsentiert Neoplan den etwas kleineren Midi-MIC, der mit verschiedensten alternativen Antriebskonzepten getestet wird, zum Beispiel als CNG- und Brennstoffzellen-Fahrzeug. Obwohl die Fachwelt den MIC begeistert feiert – 1990 erhält der korrosionsbeständige Vollkunststoffbus die Auszeichnung „Coach of the Year“ –, kann sich das Konzept nicht durchsetzen; nur rund 300 MIC werden insgesamt gebaut, viel zu wenig, um die hohen Entwicklungskosten wieder einzuspielen. Der MIC ist in der Herstellung zu teuer, außerdem erreichen Fahrverhalten und Innenraumakustik nicht ganz das Niveau konventioneller Busse. „Es ist ein Auto gewesen, das war wohl seiner Zeit zu weit voraus“, erklärt Neoplan-Chefkonstrukteur Bob Lee später selbstkritisch.


Neoplan MIC N 4012 Metroliner

Neue Ideen für ein neues Jahrtausend

Der Beginn der neunziger Jahre steht bei Neoplan ganz im Zeichen der Expansion. Neben der Eröffnung einer zusätzlichen Produktionsstätte 1990 in Ehrenhain wird ein Jahr später das fünfte Neoplan-Werk am Standort Plauen eröffnet. Albrecht Auwärters Vision: Neoplan soll im Jahr 2000 mit 2000 Mitarbeitern 2000 Busse bauen.

Auf der IAA 1992 kommt es zu einer kleinen Sensation, welche die Omnibuslandschaft erneut revolutionieren sollte – Neoplan präsentiert den ersten zulassungsfähigen, vierachsigen Megaliner mit 15 Metern Länge. Das Resultat aus Albrecht Auwärters unerschöpflichen Bemühungen, Busse mit mehr als 12 Meter Gesamtlänge in Deutschland und Europa zulassungsfähig zu machen, erhält den Innovationspreis der deutschen Wirtschaft. Denn keine andere Entwicklung hat die Omnibuslandschaft im ausgehenden 20. Jahrhundert so stark verändert wie die Fünfzehn-Meter-Klasse. Mit der Einführung des Megaliners stellt Neoplan seine Vorreiterrolle erneut eindrucksvoll unter Beweis und dem Wettbewerb bleibt abermals keine andere Wahl, als mit entsprechenden Modellen in dieser Größenklasse nachzuziehen.


Auf der IAA 1992 präsentierte Neoplan den ersten vierachsigen, 15m langen Megaliner mit regulärem deutschen Kennzeichen. Dies war ein Resultat aus Albrecht Auwärters unerschöpflichen Bemühungen, für Busse mit mehr als 12m Gesamtlänge in Deutschland und Europa Zulassungen zu beantragen. Keine andere Entwicklung hat die Omnibuslandschaft im ausgehenden 20. Jahrhundert so stark verändert wie die Fünfzehn-Meter-Klasse. Heute ist die 12m Grenze definitiv ein Relikt der Vergangenheit.

Albrecht Auwärter
Bob Lee

Die Durchsetzung der neuen Bus-Klasse ist Albrecht Auwärters letzter Coup: Am 16. März 1994 verstirbt er nach kurzer schwerer Krankheit im Alter von 57 Jahren. Sein Tod ist nicht nur für Neoplan, sondern für die gesamte Busbranche ein herber Verlust. Mit seinen innovativen Entwicklungen und seinem ausgeprägten Geschäftssinn hat Albrecht Auwärter maßgeblich zum Erfolg von Neoplan beigetragen. Sein Tod hinterlässt eine große Lücke, die nur schwer zu füllen ist. Die dritte Generation der Familie Auwärter ist noch nicht so weit, um das Unternehmen zu führen; so wird Bob Lee Anfang 1994 neuer Vorsitzender der Geschäftsführung.

Neben der personellen Veränderung in der Führungsetage beginnt zwei Jahre später auch ein neues Zeitalter für Reisebusse, eingeläutet durch die Busspezialisten von Neoplan. Zur IAA 1996 erscheint ein neuer Stern in der Neoplan-Produktlinie – der Starliner. Der Luxus-Reisebus verbindet auf einmalige Weise höchsten Fahrgastkomfort mit wegweisender Bustechnologie. Das zukunftsweisende Design, das innovative Sicherheitskonzept und der noch komfortablere Innenraum überzeugen auf ganzer Linie. Dank seiner fortschrittlichen Konzeption wird der Starliner schnell zum Imageträger und Flagschiff vieler Omnibusflotten.


Neoplan Starliner

Als Nachfolger des Transliners präsentiert Neoplan 1998 eine neue Kombibus-Baureihe – den Euroliner. Der Clou ist das Plattformkonzept mit standardisierten Baugruppen, wodurch sich zahlreiche Varianten zu günstigen Kosten produzieren lassen. Mit CAN-Bus, einer Edelstahl-Bodengruppe zum Schutz vor Korrosion und Integral-Bauteilen für Front, Heck und Dach wird der Euroliner zu einem würdigen Mitglied der Neoplan-Familie.

Die allgemein schwachen Absatzzahlen in der Omnibusbranche und das schwierige Marktumfeld stellen die Geschäftsführung von Neoplan vor große Herausforderungen. Um die wirtschaftliche Situation des Familienunternehmens ist es nicht gut bestellt: Den bescheidenen Gewinnen – die Umsatzrendite liegt Mitte der 90er Jahre bei weniger als einem Prozent – stehen hohe Ausgaben für Forschung und Entwicklung zum Beispiel an alternativen Antrieben sowie hohen Kosten für die Einführung neuer Modelle gegenüber. Das vielfältige Produktsortiment, die hohe Zahl an kundenindividuellen Sonderlösungen und das Experimentieren mit Hybrid- und Elektrofahrzeugen, Schienenbussen und Wasserstoffantrieben haben die finanziellen Rücklagen vollständig aufgezehrt. Kurz vor der Jahrtausendwende drängen die Banken die Familie zur Suche nach einem Käufer für das Unternehmen.


Neoplan Euroliner N 3316 K

Eine neue Ära beginnt

Auf der IAA 2000 gibt die Familie Auwärter einer überraschten Öffentlichkeit bekannt, dass ihr Unternehmen von MAN Nutzfahrzeuge übernommen werden soll. Die EU-Kartellbehörde lässt sich mit der Genehmigung allerdings Zeit, die Verunsicherung von Belegschaft und Kunden von Neoplan hält mehrere Monate an. Im Juni 2001 schließlich wird der Übernahme zugestimmt: Neoplan wird als Premiummarke neben der MAN Bus GmbH in die NEOMAN Bus Gruppe integriert. Der Münchner Nutzfahrzeughersteller und der Stuttgarter Omnibusbauer kennen sich bereits bestens aus der Vergangenheit. So unterhalten beide Unternehmen seit Jahren intensive Lieferbeziehungen. Die Zuverlässigkeit und Wirtschaftlichkeit der MAN Motoren- und Antriebstechnologie sowie die Innovationskraft der Marke Neoplan ergänzen sich perfekt. Mit der Übernahme durch MAN Nutzfahrzeuge und der konsequenten Nutzung der dadurch entstehenden Synergien, ist der Bestand der Marke Neoplan gesichert.

Unter neuer Führung lässt Neoplan nicht lange auf die gewohnt hochkarätigen, innovativen Busentwicklungen warten. Mit der Vorstellung des Tourliner 2003 trifft Neoplan voll ins Schwarze. Das neue Modell bietet hohe Wirtschaftlichkeit und absolute Zuverlässigkeit zu einem überzeugenden Preis-/Leistungsverhältnis. Als Nachfolger des bereits legendären Euroliners sowie des Jetliners vereint er als Allrounder Ästhetik und Wirtschaftlichkeit.


Neoplan Tourliner N 2216 SHD

Auf der IAA 2004 in Hannover präsentiert Neoplan den neuen Starliner. Sein Aufsehen erregendes „Sharp Cut“-Design ist ein Messe-Highlight. Die größte gewölbte obere Frontscheibe im Busbau und die sanft ins Dach übergehenden Seitenscheiben mit den geneigten Fensterholmen geben dem Starliner seinen unverwechselbaren Charakter. Ein umfassendes Sicherheitspaket mit erstmals lieferbarem ACC (Adaptive Cruise Control), LGS (Lane Guard System) und serienmäßigem aktiven Sicherheitsfahrwerk CDS, rundet das fortschrittliche Gesamtkonzept ab und Neoplan beweist erneut seine führende Rolle für die gesamte Branche.


Neoplan Starliner SHD

In den Jahren 2003/2004 beginnt MAN Nutzfahrzeuge mit der Umstrukturierung der Neoplan-Produktion. Nach der Schließung des Werkes Stuttgart im Rahmen dieser Neuordnung wird zunächst das Werk Pilsting 2006 neuer Firmensitz von Neoplan. Im Jahr 2008 schließlich wird die Neoplan-Fertigung in Plauen konzentriert. Die Fertigung von Nischenprodukten oder Individualausbauten für Reisebusse übernimmt die von ehemaligen MAN-Managern gegründete Viseon Bus GmbH, die im April 2009 das Werk in Pilsting mit rund 200 Mitarbeitern von MAN übernimmt.


Neoplan Cityliner N 1216 HD

2006 ist die IAA wieder Schauplatz bei der Vorstellung der neuen Generation eines absoluten Neoplan-Evergreens – dem Cityliner. Vom Starliner übernimmt er nicht nur das formschöne „Sharp Cut“-Design, sondern überzeugt auch mit der gleichen zuverlässigen und innovativen Technologie. Der neue Cityliner wird von Anfang an mit modernen Common Rail-Motoren von MAN in Euro 4-Norm gebaut. Mit einem Verkaufserfolg von über 30 Einheiten allein auf der IAA überzeugt der Cityliner nicht nur die Kunden, auch die Design-Profis sind von dieser neuen Fahrzeuggeneration überaus angetan. So erhält der Cityliner 2007 für sein anspruchsvolles und innovatives Design den begehrten „red dot: best of the best“-Design-Award.

2008 wird die nach der Fusion der beiden Nutzfahrzeughersteller MAN und Neoplan gegründete NEOMAN Bus GmbH voll in die MAN Nutzfahrzeuge AG integriert und profitiert somit von den unternehmerischen Synergien eines Weltkonzerns.



Text:
MAN Nutzfahrzeuge Gruppe
Fotos:
MAN Nutzfahrzeuge Gruppe
Omnibusarchiv
Video-Clip:
BusTV




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